Toleranz

Toleranz, die [lat. tolerantia – geduldiges Ausharren; toleratio – das Erdulden]  Die Gedanken zur T. sind so alt wie die Menschen an sich. T. ist auch als Gegenpart zu Dogmen und Willensunterwerfung (z. B. unter Religionen) zu verstehen.Viele Menschen sprechen von Akzeptieren und Anerkennen anderer Meinungen; von Achtung gegenüber „Andersdenkenden“; Verständnis wird eingefordert, Duldung erwartet.. Die Menschen sollen dulden, gewähren lassen und erlauben. Letztlich läuft alles auf die Ansicht von der Gleichwertigkeit aller Menschen hinaus, egal, wo sie geboren sind und wie sie denken. Auch verschiedene Weltsichten und Religionen müssen keinen Hass gegenüber dem anderen Denken hervorrufen.T. kann eng und weit gesehen werden. Die Betrachtungen enthalten übereinstimmende Elemente: T. bedeutet Duldsamkeit, bes. in religiösen Fragen (Glaubensfreiheit), das Gelten lassen anderer Gewohnheiten, Meinungen, Weltanschauungen, Sitten. T. existiert nicht losgelöst von gesellschaftlichen Strukturen; sie ist vielmehr abhängig von den jeweiligen Klasseninteressen. Sehr bedeutsam ist die Einstellung des Einzelnen zu T., z. B:Ich achte alle Menschen, gleich welchem Glauben sie sich zugehörig fühlen. Ich bin gegen Gewalt jeglicher Art. Schön wäre es, wenn ich mit diesen Sätzen dieses Thema beenden könnte. Es drängt sich jedoch ein Fragenkomplex auf, der einer Antwort bedarf. Muss man tolerieren, wenn zu Gewalt und Krieg, zum Töten aufgerufen, wenn Selbstaufgabe gepriesen wird? Darf man tolerieren, wenn im Medienspektakel Gewalt als Unterhaltungsshow dargestellt wird?Ich kann Gegenargumente bringen, kann diskutieren, Meinung vertreten; ich kann das Fernsehgerät ausschalten und die Zeitung nicht kaufen. Ich kann selbst schreiben und die Aspekte der Vernunft darstellen, ohne natürlich den Anspruch auf die absolute Wahrheit zu erheben. Ist das tolerant? Ist meine Meinung vernünftig, weil ich andere Menschen, anderen Glauben, andere Überzeugungen achte, weil ich mich gegen Gewalt ausspreche? Ich meine doch, denn auf solcher Grundlage ist der fruchtbare Meinungsstreit erst möglich.Aber es muss auch etwas gegen den Hass und die Intoleranz getan werden. Kommen wir also vom theoretischen Disput zum praktischen Handeln. Es gibt Menschen, die bewusst und vorsätzlich Menschen töten, es gibt Krieger von Beruf; solche, die Gewalt anwenden, physische oder psychische, um ihre Macht zu erhöhen. Es gibt Menschen, die Frauen vergewaltigen, die foltern, die Flugzeuge entführen oder Krankenhäuser zerstören, um ihre Ziele zu erreichen; und es gibt Menschen die Umwelt zerstören, Bäume und Tiere vernichten, Müll in die Meere entsorgen, alles um des Profites willen.Kann man, soll man das alles tolerieren? Natürlich nicht, sagen wir alle. Ich kann meinen Mitmenschen darauf aufmerksam machen, ich kann demonstrieren, kann die gewählten Politiker auffordern, den Kriegern der Gewalt, den Umweltzerstörern die Hilfe, sprich das Geld zu entziehen, und wir können den Opfern spenden. Was aber tun wir, wenn die Politiker selbst Gewalt wollen, weil Krieg Geld bringt, wenn von den Spenden Waffen gekauft werden für noch mehr Krieg? Sind wir ohnmächtig?Wir dürfen auf keinen Fall müde werden wider solche Politik, Wir dürfen nicht gleichgültig uns das Elend und den Egoismus vorflimmern lassen, als wäre es nicht unser Leben, das da beendet wird! Aber nicht Rache sollten wir fordern, sondern Gerechtigkeit ­.Erkennbar wird hier eine Schwierigkeit, welche T. in sich birgt. Sie erscheint uns bisweilen mit dem Gefühl der Ohnmacht und Ungerechtigkeit gekoppelt. Wie oft denkt man an einen Schlag in das Gesicht, an einen Tritt, wütet in sich hinein, wenn man all die Ungerechtigkeiten erfährt, im eigenen Alltag oder im großen „Weltengeschehen“; wenn man gequälte, verhungernde Menschen sieht, aufgenommen mit einer Kamera, deren Preis viele dieser Menschen lange Zeit gesättigt hätte.Erinnern wir uns an den Satz der Aufklärung, formuliert von Immanuel Kant (1724 – 1804): „Sapere aude ‑ habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.“ Nutzen wir ihn, diesen Verstand, um mit unseren Taten das Wort T. mit Inhalt zu füllen; für mehr Ruhe und Friedlichkeit in unserem Inneren und für Ausstrahlung auf jeden Nachbar, Kollegen, Bekannten gegen die Gewalt, gegen die Gefahr des Gewöhnens an Missstände und Brutalität, gegen das Wegschauen zu sorgen. Und wenden wir uns als Humanisten und Freidenker gegen solche Menschen, die T. in ihren Auffassungen und Taten vermissen lassen. „Was ist Toleranz? Sie ist die Menschlichkeit überhaupt. Wir alle sind gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, daß wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen.“ (Francois-Marie Arouet Voltaire, zit.nach 4) 

Þ Aggression, Þ Demut, Þ Dogma, Þ Ethik, Þ Humanismus, Þ Konflikt Lit.:1 BI Universal Lexikon : Bd. 5 – Leipzig, VEB Bibliographisches Institut 1987, S.213 ; 2 Das große Lexikon 1998: –  DATA BECKER (CD) ; 3 Der Brockhaus: – Bertelsmann Club GmbH !992, S.894; 4 Steuerwald, Helmut:  Kritische Geschichte der Religionen…: – Neustadt/Rbge. Angelika Lenz Verlag 1999. 

Andreas Krödel