Entfremdung von uns selbst

Entfremdung von uns selbst

Mail vom 13.01.01 an BFV – Liste 

„ich grüße Euch alle,

da in dieser Woche die Sonntagspredigt später kommt, hat vielleicht der Eine oder Andere Zeit, mal wieder Krödel zu lesen. Zunächst ein paar Gedanken über die letzten Mehls in gewohnt ironischen Ton:

Grundsatz 1: Ich freue mich immer über eine Karin, einen Sören, Reinhard oder Nico – sie bringen neue Denkansätze und Aspekte, auch wenn sie von meiner Denkweise verschieden sind. Ich stelle mir dann die Frage nach der Entfremdung meiner Sicht vom Menschsein neu und das ist gut.

Zu den Antworten von R.John auf Texte von Nico:

– ich finde Nicos Texte nach langem Lesen als provozierend und nicht lachhaft, aber ich habe meine Meinung dagegenzusetzen und ich habe genug geschrieben – aus meiner Sicht. Ich bitte um Entschuldigung, daß mein „..unser aller Sicht…“ nicht klar definiert war, es waren all die Bekannten gemeint, die eine ähnliche Weltsicht haben, wie ich. Ich setze mich auch weiter mit den Texten von Nico auseinander.

– eigenartigerweise geht hier eine philosophische Kleinstreiterei los – ob Marx, Rocker, Gaarder oder Wittgenstein und SAC – ich z.B. schnüffle gerne mal hier und da, lese und teste – beziehe dann aber Standpunkte und nehme, was ich brauchen kann.  Mit solchem Wortklauseleien verschenken wir aber zu viel Energie, wir entfremden uns von der eigentlichen Aufgabe aus unserer Programmatik – es ist m.E. die falsche Richtung der Diskussion.

In einigen Grundgedanken herrscht ja zum Glück noch Einigkeit, wenn auch mit völlig anderen Formulierungen:

– wir betrachten die Philosophen in ihrer Zeit (heutige Erkenntnisse konnten selbst vor wenigen Jahren nicht in die Theorie einfließen, weil die Wissenschaft heute in rasender Geschwindigkeiten neue Zusammenhänge nachweisen kann, weil die Gesellschaft allein im vergangenen Jahrhundert weltweit soviel Neues praktisch versucht hat, Vieles ist gescheitert an der Realität, Einiges ist heute Normalität.); keine Theorie kann vollkommen sein, man soll stets vor einem Urteil das Gesamtwerk betrachten (nichts aus dem Text herausreißen), bitte entfremdet mich nicht vor mir selbst – wir sollen nehmen von dem, was für unsere Ziele verwertbar ist!

– Religion ist immer Diener und Förderer des Reichtums, ob sie zur Beruhigung der Massen als Opium eingesetzt, als Machtfaktor für das Kapital oder als Matrix bezeichnet wird, ist doch gleichgültig. (in diesem Zusammenhang auch ein Gedanke gegen die Marxkritiker – Marx war aus seiner Sicht über Religionen soweit herausgetreten, daß er sie nicht mehr brauchte wie ich, er kannte ihre ideologischen Einflüsse und Schäden für den Ausgebeuteten, den Mißbrauch des Glaubens. Das Judentum ist auch eine Religion. In dem Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, schießen Menschen, die sich „Staat der Juden“ nennen, Andersdenkende tot. Auf dem Kreuz von Jesus stand `König der Juden`, Pilatus hat nicht einen Christen, sondern einen Judenkönig gekreuzigt. Warum gerade Juden immerwieder zum Ziel von Ausschreitungen werden, ist Aufgabe der Historiker. Ich habe nur Groll gegen Staatsreligionen und deren „Fundamentalismus“, das ist Aggression und Gewalt; ich achte auch die Religion der Juden als Meinung Andersdenkender und ich verurteile ebenso die Gewalt gegen Juden, wie auch die Gewalt, die durch Juden dem Namen nach geschieht!). Auch die Entfremdung von Religionen birgt Gewaltpotentiale. Marx hat versucht, das so zu verstehen  zu geben – denke ich!

– ob es nun Klassen, Schichten oder von mir auch Kästen oder Säcke gibt, die Bezeichnung ist gleich, der Inhalt entscheidet – und wir haben Menschen, die in Klassen eingeteilt, hineingeboren werden.  Hier steht nicht die Aufgabe des Streites um Bezeichnungen – Ziel muß die klassenlose Gesellschaft sein; das ist Aufgabenfeld (ich erinnere mich an einen Text, wonach Marx in einem Sessel gestorben ist ohne Einfluss äußerer Gewalt – ansonsten Frage an die Pathologen, denn Nichts ist unwichtiger bei der Marxbetrachtung!).

Das alles erinnert an den Streit, was eher dagewesen sei, das Ei oder die Henne!

 

Ein Satz noch zu Axel:

Solches philosophisches Tiefenwissen wie ihr alle vorgebt, habe ich als Hobbyphilosoph nicht, brauche ich auch nicht, denn ich habe ja Euch. Beachtet aber bitte die große Gefahr, daß ihr nicht im Klein-Klein-Wortkrieg erstickt, den Blick für die Realität verliert, für unsere eigentlichen Freidenkeraufgaben nach Krödel:

– Schaffung einer Philosophie für die Zukunft (nach dem Kapitalismus);

-Vorbereitung der Menschen auf eine humanistische Welt, Ändern des Bewußtseins der Massen als Grundvoraussetzung für Freiheit und wahre Demokratie

– Beseitigung der Entfremdung des Menschen in dieser Welt und von sich selbst!

Das ist der große Anspruch der Wissenschaftlichkeit – ich bin so flexibel, aus neuen Erkenntnisssen heraus meine Weltsicht und Theorie ständig zu entwickeln – dazu bedarf es natürlich wissenschaftlich begründete Argumente – das ist ein/mein Standpunkt.

 

zu Nicos Antwort an Axel:

Schon nach ersten Ansätzen hätte Schluß sein müssen. Freidenker und Dogmatiker sind dem Grund nach so verschieden, daß solche Wortklaubereien falsch investierte Gedanken sind. Freidenker stellen immer alles in Zweifel, auch die Theorie – aber Freidenker sind so frei, eine eigene Meinung zu haben.

Freidenker bauen ihre Philosophie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Du schreibst : „Alle Dogmen sind falsche Dogmen.“ und dann geht es über Seiten…..der Satz ist für mich sonnenklar und bedarf wohl heute keiner Interpretation. Euer „Streit“ geht um Worte, die absichtlich falsch, aus dem Zusammenhang gerissen verwendet wurden, nur um eigene Ansätze für Text schaffen zu können. Insofern habe ich schon Probleme mit Deinen Texten, ich verwende nur soviel Energie dafür, wie es mir von Nutzen ist.

 

Für mich gibt es wirklich nur eine Wahrheit, das ist meine aktuelle Weltsicht. Sie beruht auf Säulen (Basiswissen), und persönlichen Erkenntnissssen. Mein Grundvorteil aber ist, daß ich diese Weltsicht immer in eigenen Zweifel stelle, daß ich mit Texten, Worten und Taten versuche, wissenschaftlich aktuell zu sein; mich an der Gegenwart zu reiben – um Zukunft gestalten zu können.

Ich spiele mit dem „Joker“ eben so gerne wie mit dem „Ball auf er Straße“, ich finde es toll – ideologisch bin ich „Rot“, bei der Anzugsordnung „GRÜN“, ich bin Freidenker, Hobbyphilosoph und Sportschütze, wieviel Reflektion bei wieviel nm ist das – dürft ihr gerne berechnen. Jedenfalls habe ich bestimmt mehr blinde Flecke als Ihr alle zusammen. Aber ich habe eine Meinung, ich halte mich nicht raus!

Aber ich LEBE damit!

Wer das nicht glaubt, mag meine Texte lesen, es ist meine Meinung, die eben kein Dogma ist. Sie ist gegen die Entfremdung und für das Leben.

Zum Schluß noch einmal Erich Fromm für alle, die nicht wissen wollen, was Menschen brauchen:

„Der Mensch sieht sich mit dem erschreckenden Konflikt konfrontiert, ein Gefangener der Natur und trotzdem in bezug auf seine Gedanken frei zu sein, Teil der Natur und trotzdem sozusagen eine Laune der Natur zu sein, weder hier noch da zu stehen. Dieses Bewußtsein seiner selbst hat den Menschen zu einem Fremdling in der Welt gemacht, von allen abgesondert, einsam und angsterfüllt.“

(Erich Fromm  „Die Seele des Menschen..“ S. 130)

(Hervorhebung von mir)

Genau dieses Problem bedarf einer/unserer Lösung, damit eben die Entfremdung überwunden werden kann! Dazu bedarf es der Kraft aller, die frei Denken können und Wollen!

Das Ergebnis ist Bestätigung – auch wenn es in …zig Jahren Wirklichkeit ist.

 

 

Denkt darüber nach!

 

Andreas“