Das freigeistige Wort zum Sonntag, 25.2.2007

„Leben wir heute in faschistoiden Stereotypen und was kann man dagegen tun?“

Für Martin Großkopf – Mail vom 19.02.2007

Leider ist kein Textvorschlag eingetroffen, sodaß ich wieder selber schreiben muß. Beim heutigen Thema bin ich mir unsicher, ob ich den Kern treffen werde, weil mir der Begriff nicht geläufig ist.

Faschistische Thesen begleiten den Imperialismus von Anbeginn, der Faschismus, das ist die Ersetzung einer Demokratie durch eine Diktatur, das Aushebeln von Menschenrecht und Menschenwert, die Vernichtung von Andersseienden und Andersdenkenden, brutale Gewalt und offener innerer und äußerer Krieg, es gibt nur eine Ideologie.

Was heute an Thesen von der rechten Seite kommt, spricht Millionen von Menschen an, „Arbeit für Deutsche“, „Ausländer raus“, deutsches Selbstbewusstsein und Nationalstolz anstelle der Demut und Selbstkasteiung als Kriegsverlierer und KZ- Betreiber und „Stalin hat noch schlimmer gewütet“. Nicht das Brüllen von Heil- rufen und das schmieren von Hakenkreuzen macht eine Sympathisierung aus, es sind Dinge, die in den Menschen verwurzelt sind, ihnen innewohnen wie Vaterlandsliebe. Da sind wirklich gebildete Ideologen am Werk und sie nutzen die Schwächen des Staates bis an die Grenzen des Machbaren aus.

Aber vielleicht meint Martin eher die zwischenmenschlichen Beziehungen im Alltag, die Verrohung der Gefühle im Alltagsstreß der Arbeitswelt, wo wir stereotypen Formeln folgend entmenschlicht werden. Jeder ist sein kleiner Hitler, selbstsüchtig, raffgierig, nur auf sich selbst ausgerichtet, Hilfe oder Solidarität bleiben unbekannte Größen, was zählt ist eigener Vorteil und Reichtum. Selbst das Elend anderer wird vermarktet.

„Was kann und muß man dagegen tun?“, fragt Martin. Wir hatten erst neulich hier das Thema, verbieten oder nicht. Aufklärende Tätigkeit im jeweiligen Umfeld, für Freidenker Ehrensache; Ausbruch aus der Scheinmoralität, besseres Leben vorleben bedeutet Ausstoß aus der Gesellschaft, finanzielle Unsicherheit, Verfolgung und Repressalien. Den Naziaufmärschen mit einer Welle der Demokratie entgegentreten auf offener Straße ist auch gefährlich, sind doch die Gummiknüppel der Polizei schon in die falsche Richtung losgeprügelt.

Da all diese Erscheinungen gesellschaftstypisch sind, bleibt als einzige Alternative für mich eine Revolution, aber keiner macht mit und was kommt danach?

1. Brief für 2007

Eine Buchkritik

Während der langen Zeit im Krankenhaus habe ich das Buch „Weltlicher Humanismus – Eine Philosophie für unsere Zeit“ von Joachim Kahl (LIT Verlag Berlin 2006; ISBN 3-8258-8511-9) gelesen. Joachim Kahl versucht hier, eine eigene Philosophie zu entwerfen. Sein Ausgangspunkt ist die Philosophie und das Philosophieren an sich. Er lädt ein in das Land der Philosophie. In diesem Land gibt es „Denkfiguren“, „Denkmittel“, “Denkwürdigkeiten“ – „geistige Impulse, die uns Anstöße zur Selbsterkenntnis und Welterkenntnis geben“. „Das Reich der Philosophie liegt im gelebten Leben und duftet nach frischer Luft. Es ist eine bestimmte geistige Ebene der Wirklichkeit, eine ideelle Dimension. Sie erschließt sich sobald wir nach der Wahrheit fragen, sobald wir unser Tun und Lassen bewusst auf den Prüfstand von gut und böse stellen, sobald wir einen Sinn für das Schöne in der Welt entwickeln.“ Er erkennt „das Hauptorgan des Philosophierens, die menschliche Vernunft.“ (ebenda S.1)„Die Probleme der Philosophie erwachsen aus der Stellung des Menschen in Natur und Gesellschaft und beziehen sich auf sie zurück.“ (ebenda S.2)„Denn Philosophie ist weltanschauliches Orientierungs- und Hintergrundwissen, das in längeren Zeiträumen und größeren Zusammenhängen zu Hause ist. Philosophie richtet ihr Augenmerk auf das, was in allem Wirbel und Wandel bleibt: auf das, was nicht veraltert, solange es Menschen gibt.“ (ebenda S.3)„Jeder Mensch hat und braucht eine Weltanschauung.“ (ebenda S.14)

Soweit vielleicht zum Einstieg in dieses leicht verständlich geschriebene Buch. Ich möchte nur anmerken, das alle Bücher der Philosophie von lebenden Menschen, verwurzelt in ihrer jeweiligen Lebenszeit, geschrieben wurden. Es gibt Grundwahrheiten und gesellschaftliche Normen in der jeweiligen Zeit, Erkenntnisse der Wissenschaften und Schlussfolgerungen des Bewusstseins, die einander bedingen. Die Bewertungskriterien können sich ändern, weiterentwickeln, innerhalb einer Gesellschaft. Gesellschaften können neue Qualitäten annehmen. Der Mensch selbst entwickelt sich vom hilflosen Baby zur denkenden Kreatur und unterliegt somit einem ständigen Lernprozeß. Aus meiner Ansicht hat jeder Mensch seine eigene Philosophie, die aus seinem Ich entsteht und sich mit ihm formt. Eine Gesellschaft ist also ein Konzentrat vieler Philosophien der Einzelwesen. Werden die Regeln, oder juristischen Gesetze, so angelegt, das ein Zusammenleben von Milliarden Menschen ermöglicht wird und das dies mit einer großen Übereinstimmung der Mehrheiten der philosophischenEinzelmeinungen erfolgt, können wir von einer freiheitlichen Gesellschaft sprechen. Soweit noch von Nöten sind solche Staaten zutiefst demokratisch und human. Das gab und gibt es in der bisherigen Geschichte der Mensch nicht, es ist eine Utopie geblieben.
Joachim Kahl verwendet hier die Begriffe Skepsis und Vision (S.21 ff). Eine gesunde Skepsis in allen Bereichen ist angebracht um eine Weiterentwicklung des Menschen und seiner zeitlich bedingten Gesellschaftsstruktur zu ermöglichen. Visionen sind das „Wünschenswerte“. „Wer heute die gesellschaftlichen Grundlagen menschlichen Lebens erhalten will, muss die Verhältnisse verändern, die sie bedrohen. Diese Dialektik von Skepsis und Vision ist die geistige Grundlage eines belastbaren Humanismus auf der Höhe der Zeit.“ (ebenda S. 25)„ Die Teilnahme möglichst vieler, tendenziell aller Menschen an einem guten Leben in Freiheit und Wohlstand, in Gerechtigkeit und Demokratie, in Gesundheit und Sicherheit ist der politisch-gesellschaftliche Kernbereicheiner humanistischen Vision. Er lässt sich nur verwirklichen auf der Grundlage einer erfolgreichen und vielfach bewährten Ökonomie, das heist einer Marktwirtschaft, die sich in einem rechts- und sozialstaatlichen Ordnungsrahmen entfalten kann.“ (ebenda S. 33)
Hier irrt der Autor m.E. völlig. Marktwirtschaft ist die Ökonomie des Kapitalismus. Sein Wesensmerkmal ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, also das Prinzip der Unterdrückung, der Entfremdung. In einem solchen Rahmen sind weder Demokratie noch Freiheit und kein Humanismus für die breite Masse lebensfähig. Erst mit der Veränderung der ökonomischen Basis kann sich eine freie menschliche Gesellschaft entwickeln. Was wir tun können ist der tägliche Klassenkampf, um wenigstens Grundrechte vor dem Staat als Marionette des Kapitals zu ertrotzen. Der heutige Imperialismus als Folge des sterbenden Kapitalismus ist und bleibt zutiefst unhuman. Visionen ändern an diesen Tatsachen ebenso wenig wie etwa Religionen, hier sind Revolutionen von Nöten, um die gesamtgesellschaftliche Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse und damit die Erreichung oben genannter Ziele, zu verwirklichen. Ansätze dazu finden sich nach gründlicher Analyse des Kapitalismus im Marxismus, den Joachim Kahl in einem Zuge mit Religionen ausspricht der Kritik nach, was ich ebenfalls bestreite. Der erlebte Sozialismus war nicht die Umsetzung des Marxismus in die Praxis, hat diesen wegen der Benutzung vieler Gedanken zu hohlen Phrasen und Dogmen aber gewaltig im Ansehen geschadet. Es handelt sich nicht um eine Heilslehre, sondern um die Umsetzung der Visionen des Autors, die den meinigen weitgehenst entsprechen.
„Die Welt – das heist die Totalität des Seienden, über die hinaus nichts Umfassenderes gedacht werden kann – wird verstanden als ein gewaltiger Naturzusammenhang, in sich vielfältig untergliedert und abgestuft.“ (ebenda S. 37) Joachim Kahl ist der Materialismusbegriff zu eng, es gäbe in ihm eine „nichtmaterielle Realitätsebene.“ (ebenda S. 39)
Der von ihm hierfür verwendete Begriff des Naturalismus beinhaltet aber für mich gerade diesen dialektischen Materialismus. Das unendliche Universum hat weder einen Anfang noch ein Ende, endlich sind nur seine Formen – wie z.B. das menschliche Leben. Materie hat das Primat vor dem Bewusstsein, welches sich im Sein des Menschen entwickelt (durch die biologisch bedingte Struktur des Gehirnes – durch Tasten, Fühlen, Sehen usw.; durch den Austausch von Gedanken vermittels der Sprache oder durch das Studium früherer Schriften) entsteht der eigene Gedanke, der eigene Schluß, es entsteht ein eigenen Bewußtsein, welches die eigene Philosophie begründet und eine Kommunikation zwischen den Menschen zwecks Erfahrungsaustausch ermöglicht. Moderne Medien ermöglichen in kurzer Zeit eine Menge an Informationen zu empfangen und zu versenden. Mit dieser Nachrichtenflut aus den Köpfen anderer Menschen muß sorgsam umgegangen werden, zu leicht führen sie zu einem Konsumrausch und in unwissenschaftliche seligmachende Auswüchse.
„Pflanzen und Tieren ist das Leben gegeben, Menschen ist es gegeben und aufgegeben: sie müssen ihr Leben nicht nur leben, sie müssen ihr Leben führen…..Sie alle müssen sich als Naturwesen in der Natur behaupten, ihren Stoffwechsel mit der Natur organisieren, sich Nahrung suchen. Der Mensch greift dabei nicht nur auf materielle Ressourcen zurück, sondern – gemäß seiner komplex entwickelten Art – auch auf geistige Ressourcen. Seine Natur überschreitet sich, entfaltet sich, gestaltet sich als Kultur.“ (ebenda S.61)
Als Skeptiker muß ich an dieser Stelle fragen, wer denn den Pflanzen und Tieren das Leben gegeben hat und wer dem Menschen etwas aufgeben kann. Aus meiner Sicht ist das Leben ein Produkt chemisch – biologischer Evolution. Es entwickelt sich vom Niederen zum Höheren (keineswegs gradlinig, wie viele ausgestorbene Arten beweisen) an Hand der Umweltbedingungen, die zu dieser Zeit an dieser Stelle herrschen. So kann man die Spezies Mensch als ein Produkt eines langen Entwicklungsweges bezeichnen, das durch seine Fähigkeiten am besten mit den gegenwärtigen Erscheinungsformen der Natur zurecht kommt und dessen Gehirn als Produkt eines langen Reifeprozesses Denkprozesse ermöglicht. Dies am Begriff Kultur einzuengen, scheint mit vage, es ist jedenfalls mehr, als ich unter Kultur verstehe.
Auf diesen Seiten des Buches geht es auch um den Freiheitsbegriff. „Freiheit ist eine Morgengabe der Natur…Insofern hat Freiheit ein Doppelgesicht. Sie ist eine Naturgegebenheit und zugleich eine täglich neu zu meisternde kulturelle Aufgabe.“ (ebenda S. 60)
Trifft Freiheit also nicht auf Tiere zu, die in freier Wildbahn lebten? Freiheit ist doch immer als Freiheit von etwas und Freiheit für etwas zu verstehen. Sie ist nach Hegel die Einsicht in das Notwendige, also ein gesamtnatürlicher Prozeß, den aber nur die Menschen für sich nutzen zur Willensfreiheit. Das bleibt solange ein Traum, bis es in der Realität umgesetzt wird. „Die Freiheit des Geistes in allen Ehren, sie aber bleibt ohnmächtig, wenn sie sich nicht in der Praxis entäußern kann.“ (ebenda S.62)
Das setzt wiederum gesamtgesellschaftliche Verhältnisse voraus, die das innerhalb der Naturgesetze auch ermöglichen und diese kann sich nur der Mensch als gesellschaftliches Wesen erschaffen.
Im folgenden Text (S. 66 ff) geht es um den Begriff der Metaphysik, den der Autor versucht, wiederzubeleben, indem er ihm alles mythischen zu entkleiden versucht. „Metaphysik, die, idealistische Lehre vom Wesen des Seienden, das abgetrennt von der Sinneserkenntnis, jenseits der Erfahrungswelt in eine übersinnlichen Sphäre existieren soll.“ (Georg Biedermann, „Lexikon des freien Denkens“ Angelika Lenz Verlag)
Daran kommt auch Joachim Kahl nicht vorbei. Der Begriff ist eben idealistisch determiniert und selbst große Philosophen wie Kant und Hegel, die uns manchen wichtigen Lehrsatz auf den Lebensweg mitgaben, scheiterten an diesem Problem mit ihrer gesamten Lehre. Erst den Materialisten Feuerbach gelang der Durchbruch, dass es keine übersinnliche Sphäre des Denkens gibt. Alles Gedachte stammt vom Menschen ab, auch die Götter. So schreibt der Autor auch richtigerweise: „Erst im Menschen ist ein Lebewesen entstanden, das Fragen stellt, Fragen stellen muß, um sich zu orientieren: Was ist das? Wo bin ich? Wer bin ich? Was ist die Welt?“ (ebenda S. 80) „Das menschliche Subjekt mag sich noch so sehr aufspreizen, es ist und bleibt ein winziger Teil der Welt und nimmt unvermeidlich einen innerweltlichen Platz ein.“ (ebenda S.81) Unstreitbar sind die Aussagen zur Religion „Religion ist kein notwendiger Bestandteil des menschlichen Lebens, keine unverzichtbare Dimension unseres Geistes…………..Noch nicht durchschaubare Zusammenhänge wurden durch phantasievolle Konstruktionen ersetzt.“ (ebenda S.87) „Religion ist eine irrige und verzerrte Wahrnehmung der Dinge und meiner selbst, Ausdruck menschlicher Entfremdung.“ (ebenda S. 88) „Religion ist und bleibt nur eine menschliche Möglichkeit.“ (ebenda S.89)Daraus ergibt sich: „ Eine staatlich verordnete oder nur begünstigte Religion ist ohne sich damit ebenso ausgeschlossen wie eine staatlich geförderte Religionslosigkeit. Gemäß dem rechtsphilosophischen Prinzip der Nichteinmischung unterwirft sich der Staat in Bezug auf Religion und Weltanschauung dem Diskriminierungs- und Privilegierungsverbot. In staatlichen und kommunalen Gebäuden sind daher nur staatliche und kommunale Symbole gestattet. Christliche Kreuze beispielsweise an den Wänden von Schulen, Gerichten, Amtsstuben, Parlamentssälen, Friedhofshallen verletzen das Gebot der Gleichbehandlung und benachteiligen alle Nichtchristen.“ (ebenda S. 111)Ein Grundsatz, dem sich die Freidenker verpflichtet sehen. Gleiches gilt für die Bildung. „Statt Kinder und Jugendliche im staatlichen Erziehungs- und Bildungsbereich nach einer vermeintlichen religiös-weltanschaulichen Zugehörigkeit zu registrieren und bei Bedarf zu separieren, schlage ich eine andere Reglung vor. Ich beziehe mich zwar hier vornehmlich auf die Schule, sie ist aber sinngemäß übertragbar auch auf andere pädagogische Einrichtungen:

Ein verbindliches Unterrichtsfach für alle.
– Christentum für alle.
– Islam für alle.
– Judentum für alle.
– Buddhismus für alle.
– Religions- und Ideologiekritik für alle.
– Weltlicher Humanismus für alle.

Das soll heißen ein Fach „Religions- und Weltanschauungskunde“, ein Fach ohne konfessionellen oder konfessorischen Charakter, ein Fach für alle ohne Pflicht, sich eigens anzumelden und ohne Möglichkeit, sich abzumelden.“ (ebenda S.113)
Im Land Brandenburg wird in einem, von Kirchenkreisen immer wieder umstrittenen, Modellversuch das Fach „Lebenskunde, Ethik, Religion“ gelehrt, welches eben diesen Zielen gerecht werden soll.
Im Abschnitt 7 geht es dann um den Sinn des Lebens (S. 122 ff). „Aufgabe der Philosophie ist es, den allgemeinen Sinnhorizont der menschlichen Existenz aufzuzeigen. Aufgabe des einzelnen Menschen ist es, den Sinn des je eigenen Lebens zu finden, zu formulieren, zu verwirklichen.“ (ebenda S. 124)„Der Sinn des Lebens bemisst sich an der Leitidee vom guten, richtigen Leben. Um diese Leitidee kreisen die Anstrengungen der Philosophie seit Aristoteles und Konfuzius. Die Summe ihrer Überlegungen mache ich mir – in meinen eigenen Worten – so zu eigen: Du gibst deinem Leben Sinn, wenn du es in ein größeres Ganzes einfügst, einbringst. Dein Leben empfängt seinen Sinn, seinen Wert, seine Bedeutsamkeit durch bewusste Teilhabe an einem übergreifenden Ganzen.“ (ebenda S. 125)
Bei den Leitideen, die einen Menschen innerhalb einer bestimmenden Natur und einer Gesellschaft antreffen, kann auch Fehlerhaftes vermittelt werden. Das war z.B. beim Faschismus der Fall, dem viele Menschen verblendet zujubelten. Auch sie identifizierten sich mit der Gesellschaftsstruktur und deren Leitbildern.
Leitideen müssen vom Kopf des Einzelwesens wirklich in ihre Bestandteile gut oder böse zerlegt und bewertet werden. Es gibt eben nicht das Leitbild für gutes und richtiges Leben, es gibt aber menschliche Normvorstellungen als Reifeprozeß in den jeweiligen Gesellschaftsformationen, die gut und richtig darstellen.
Meinen Sinn des Lebens kann ich nur in meinem Leben finden, so auch die Bewertungskriterien für gut und böse. Passen diese mit den Leitideen der gegenwärtigen Gesellschaft zusammen, lebe ich in Freiheit. Ist das aber nicht der Fall wie bei mir und dem gegenwärtigen Stadium des Imperialismus, muß ich mich trotzdem in die Gesellschaft einordnen, meine persönliche Freiheit (nicht die des Denkens) wird beschränkt.
In den folgenden Texten geht es dem Autor um die Verteidigung der Dialektik, den logischen und dialektischen Widersprüchen und den Kategorien Qualität und Quantität. Am dialektischen „Praxismodell: Einheit von Bewahren und Verändern“ (S. 145 ff) legt Joachim Kahl die dialektischen Wurzeln des sich Widersprechens und des sich gleichzeitigen Bedingens dar. Anschließend geht es um das Notwendig und das Zufällige als bekanntes philosophisches Kategorienpaar. In meiner Philosophie gibt es keinen Zufall.
„Die philosophische Verallgemeinerung lautet: Ein Zufall ist ein beliebiges, unberechenbares, nicht vorhersehbares Geschehen, aber kein ursacheloses, kein grundloses, kein akausales Geschehen. Ein Zufall hat seinen Grund, wie alles seinen Grund hat in den Zusammenhängen, in denen es vorkommt. Im Unterschied zu absichtsvollen menschlichen Handeln ereignet sich ein Zufall absichtslos, motivlos, ziellos, teilnahmslos, gefühllos, auch wenn keinesfalls, wie schon betont, ursachelos.“ (ebenda S. 162/163)
Hierin sehe ich einen Widerspruch. Alles ist eine Folge von Notwendigkeiten auch wenn wir das Ergebnis nicht voraussagen können, nicht berechnen, also uns nicht nutzbar machen können, wie das am Beispiel des von Joachim Kahl gewählten Würfelspieles der Fall ist. Der Würfel hat sein Gewicht, seine Maße, seine Schwere. Er wird von der Hand aufgenommen und mit einer bestimmten Energie über eine Fläche mit bestimmten Eigenschaften gerollt, sodaß er genau in der Position, die die Naturgesetze vorschreiben, zu liegen kommt. Alles eine logische Folge von Notwendigkeiten und eben kein Zufall.
Gut und böse werden in den Rang eines ethischen Kategorienpaares erhoben.
„Ich empfinde Genugtuung darin, einen persönlichen Beitrag zu leisten zu einer menschenfreundlichen Welt. Damit entspreche ich meinem Selbstbild als einer humanistischen Persönlichkeit“ (ebenda S. 182)
Es gibt also kein gutes oder böses Menschenbild, sondern nur gute oder böse Handlugen immer am Entwicklungsgrad des gesellschaftlichen, gegenwärtigen Lebensabschnittes, gemessen. So waren die zehn Gebote des Moses Verhaltensnormen der damaligen Zeit, auch wenn sie, wie vom Autor bewiesen, allgemeingültige Kerngedanken bis heute aktuell, besitzen. „Habe Respekt vor dem Zeitrhythmus von sechs Tagen Arbeit und einem Tag Ruhe……Habe Respekt vor deinen Eltern. Denn ihnen verdankst du dein Leben…. Habe Respekt vor der Ehe und vor der Ehe anderer…….Habe Respekt vor dem Leben. Denn es ist zerbrechlich und wird uns nur einmal verliehen….Habe Respekt vor der Wahrheit. Habe den Mut zur Wahrheit! Verdrehe nicht die Wahrheit!………Habe Respekt vor dem Eigentum. Verteidige, pflege und genieße dein Eigentum und gewähre anderen das Ihre.“ (ebenda S. 191 – 193)So in die eigenen Worte gekleidet ist die heutige Aktualität leicht ausmachbar. Sie findet ihren Niederschlag in dem anschließend beschriebenen „Gentleman-Ideal“ (S.194 ff). Da ich als deutscher Bürger eines deutschen Staates auch die deutsche Sprache pflege, habe ich für mich den Begriff mit „Weltmensch“ übersetzt, ohne die Inhalte zu verändern. Ab S. 198 sind die „vier Leitmotive“; „Selbstbehauptung, Selbstbegrenzung, Fairness, gesunder Menschenverstand“ erläutert. Es geht m ein Menschenbild der Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle, Selbstachtung. „Träger des Gentleman- Ideals ist eine gehärtete, nicht eine verhärtete Persönlichkeit. orientiert am langfristigen und ganzheitlich verstandenen Erfolg im Leben.“( ebenda S. 198)
„Mit einem abschließenden Satz gesagt: Gesunder Menschenverstand ist gelebte Einsicht: Man lernt nie aus“ (ebenda S. 202)
Ein solcher Mensch prägt sich durch Höflichkeit in der Einheit von Ethik und Ästhetik, in gesunden Familien, wo beide Eltern bereits den Kindern die Achtung vor dem Leben, dem eigenen wie dem der Anderen anerziehen. Es entstehen im Reifeprozess entwickelte Persönlichkeiten bewusst sich in die Gesellschaft einbringend. Eltern und so füge ich hinzu, Pädagogen, bedürfen hierzu einer ständigen Schulung und Fortbildung. (S.202 ff)Es folgt eine Wiederaufwertung des Freundschaftsbegriffes (S. 212 ff), in der heutigen Zeit „bröckelnder Beziehungsfähigkeit“. „Ein Mensch, der nicht nur Verwandte und Bekannte, Nachbarn und Kollegen kennt, sondern den Umgang mit Freunden pflegt, fügt seinem Leben ein starkes Glücks- Zufriedenheitsferment bei.“ (ebenda S. 212)
„Auch Liebe kann in Freundschaft übergehen, und zwar nicht erst, wenn sie erloschen ist, sondern als deren Reifestufe. Eine langjährige eheliche Liebe trägt Züge der Freundschaft. Ernst Bloch ist zuzustimmen, wenn er schreibt, Freundschaft sei `das wichtigste Stück einer auf Dauer und Gewohnheit angelegten Liebe; so gehen die meisten Ehen nicht aus mangelnder Liebe, sondern aus mangelnder Freundschaft zugrunde`“ (ebenda S. 213)„Freundschaft ist Verbundenheit in der Struktur der Komplementarität, der Ergänzung im Unterschied. Sie erfordert keine Übereinstimmung in allen Fragen und in jeder Hinsicht, sondern die Bereitschaft, die Auffassungen des oder der anderen zu respektieren. …………. Dank ihrer inneren Architektur, die Nähe vermittelt, ohne Eigenständigkeit preiszugeben, bewirkt Freundschaft in der Regel die Steigerung der Lebensfreude, der Lebensintensität, der Lebenstüchtigkeit. Eben dieser Vorzüge wegen werden Freundschaften begehrt und begründet.“ (ebenda S. 218)In dieser wertorientierten Weise führt uns der Autor in das Feld der „Sexualität – Ehe – Familie“ (S. 221 ff) Es ist eine Betrachtung auch über den „biologischen und sozialen Vorrang von Heterosexualität gegenüber Homosexualität“ (S.223)
„Nur Familien mit Kindern garantieren die Abfolge der Generationen, sichern den Nachwuchs der Gesellschaft, schaffen das Rekrutierungsreservoir ihrer Sozialsysteme.“ (ebenda S. 223)„Ehe und Familien sind keine Auslaufmodelle eines untergehenden Zeitalters, sondern unverzichtbare humanistische Leitbilder für das Zusammenleben der Geschlechter und Generationen.“ (ebenda S. 230)
Sexuelle Lust ist demnach eine Steigerung der Gefühlswelt für das jeweilige Paar und damit eine Bereicherung an Lebenswert. Dies strahlt dann auch auf die Gesellschaft aus und schreibt ein moralisches Ethos gegen die scheinbare, schier schrankenlose sexuelle Freiheit in ihren trügerischen, schillernden Scheinkulissen.Im letzten Abschnitt des Buches stellt Joachim Kahl seinen Weg vom Theologen zum Marxisten und seinen Rückzug davon dar. Er möchte, soweit ich ihn hier verstehe „die kapitalistische Marktwirtschaft und den parlamentarisch- demokratischen Rechtsstaat“ nicht „zu Gunsten einer vermeintlich höheren Form des Zusammenlebens aufheben.“ (ebenda S. 251) Er erteilt jedem Lagerdenken eine Abfuhr. „Ich denke und schreibe für anspruchsvolle Menschen – ohne Eiferertum, aber mit Sendungsbewusstsein. Was ich vermittle, sind orientierungsstarke Ideen für das richtige Leben in Zeiten gesteigerten Orientierungsbedarfs.
Die Treue zur Wahrheit steht dabei höher als die Treue zu mir selbst.“ (ebenda S. 253)

Schlussbemerkung von mir:

Joachim Kahl ist ein Mensch, der verschiedene Theorien studiert hat und nun seine eigene Theorie als Philosophie vorstellt. Dabei verwendet und interpretiert er alte und neue Begriffe, füllt sie mit seinen eigenen Gedanken und formuliert daraus allgemeingültige Lehrmeinungen, die in der gegenwärtigen Gesellschaft Bestand haben sollen. Es ist sein Produkt bei der Suche nach allgemeingültigen Wahrheiten und er bietet es an, dass es sich viele Menschen aneignen, davon lernen.Ich bin Elektromonteur, also philosophischer Laie und habe hier ebenfalls meine eigenen Gedanken dagegengesetzt. Ich stimme mit vielen Passagen des Buches überein, habe sicher einiges nicht verstanden.Ein Grundsatz trennt uns aber unerbittlich: ich finde nichts Humanistisches und Erhaltenswerten am Kapitalismus. Hier ist und bleibt trotz aller Phrasen von sozial oder freiheitlich – demokratisch der Mensch entfremdet. Auch eine gesunde Familienpolitik oder Sexualmoral sind hier nur als Einzelleistung möglich, die Gesamtgesellschaft versagt ihre Ansprüche kläglich. Deshalb gehe ich nach wie vor von einem Gesellschaftsgebilde aus, wo es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt, wo also die Entfremdung aufgehoben wird und Frieden, sowohl der äußere der Völker untereinander; als auch der innere Frieden des Menschen für sich und in der Gesellschaft, zum Normalzustand wird. Das ist keine idealistische Heilsbotschaft, sondern machbare Zukunft, meine Vision.

Dezember 2006